Seltsames Parlamentsverständnis eines Nationalrats
Nationalrat und Stadtpräsident Kurt Fluri hat unlängst ein seltsames Verständnis geäussert, wie er seine Funktion als Parlamentarier sieht. Anscheinend möchte er aus zeitlichen Gründen die Eingriffe bei Grundrechten im Zuge der COVID-Zertifikatedem Bundesrat und damit der Expertokratie der Bundesverwaltung überantworten. «Bis etwas beschlossen ist, kann es Monate dauern», so Fluri.
Wie bitte, Herr Nationalrat und Stadtpräsident Kurt Fluri? Das Parlament sei nicht das geeignete Organ, um über den Einsatzbereich des COVID-Zertifikats zu bestimmen? Wer, wenn nicht das Parlament? Wer, wenn nicht die gewählten Vertreterinnen und Vertreter des Volkes können überhaupt eine hinreichend demokratisch legitimierte Gesetzesgrundlage für Grundrechtseingriffe liefern oder eben auch bewusst davon absehen? Jeder Jus-Student im ersten Semester lernt es und jeder Politiker sollte es eigentlich wissen: für einen Grundrechtseingriff braucht es eine hinreichende demokratisch-gesetzliche Grundlage, der Eingriff muss verhältnismässig sein und er muss im öffentlichen Interesse liegen. Der Bundesrat als bloss vollziehende Exekutivbehörde ist auch hier wie so oft in den letzten Jahren der falsche Adressat. Gefordert sind die Damen und Herren Nationalräte und Ständeräte selber. Also: Schluss mit den Sommerferien, Schluss mit medialen Selbstdarstellungen, Schluss mit geistigem Synchronschwimmen im Bundeshaus. Ran ans Werk! Legt Eure gut bezahlten Verwaltungsrats- und Lobbymandate nieder und macht endlich das, wozu ihr gewählt seid: Klarheit bei Grundrechtsfragen schaffen und das bitte auf hohem handwerklichen Niveau. Alles andere ist Arbeitsverweigerung. Und für Demokratie, Gewaltentrennung und Rechtsstaat brandgefährlich. Gerade ein Politiker, der sich in der Vergangenheit für Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit ins Zeug legte, wenn es um linksautonome Demonstranten und kriminelle Ausländer ging, sollte dies erst recht tun, wenn Normalbürgerinnen und Normalbürger von der Einschränkung von Grundrechten akut betroffen sind. In Bezug auf Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit darf es keine Zweiklassengesellschaft geben.
Rémy Wyssmann, Kantonsrat SVP, Kriegstetten