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Der Volkswille spielt keine Rolle

Für das Bundesgericht ist die Zuwanderungsinitiative kein Grund, bei der Freizügigkeit künftig restriktiver zu urteilen. Das Abkommen mit der EU geniesse in jedem Fall Vorrang.

Für das Bundesgericht ist die Zuwanderungsinitiative kein Grund, bei der Freizügigkeit künftig restriktiver zu urteilen. Das Abkommen mit der EU geniesse in jedem Fall Vorrang.

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Der Umgang mit der vor zwei Jahren angenommenen Zuwanderungsinitiative ist wohl die grösste Knacknuss, mit der sich Bundesrat und Parlament derzeit zu befassen haben. Auch wenn der neue Artikel 121a der Bundesverfassung nicht direkt anwendbar ist und noch nicht feststeht, mit welchen Massnahmen er umgesetzt werden soll, ist auf der politischen Ebene doch mehrheitlich anerkannt, dass dem Willen von Volk und Ständen nach einer Begrenzung der Zuwanderung Rechnung zu tragen ist.

Am Bundesgericht in Lausanne ist das anders. In einem Grundsatzentscheid hat die zweite öffentlichrechtliche Abteilung im letzten November an einer öffentlichen Sitzung festgehalten, dass die neue Verfassungsbestimmung gegen die Masseneinwanderung keinerlei Einfluss auf ihre Rechtsprechung zum Freizügigkeitsabkommen habe (NZZ 27. 11. 15).

Initiative «kein triftiger Grund»

Nun liegt die schriftliche Begründung des brisanten Urteils vor. Konkret ging es um eine Dominikanerin, die mit einem in der Schweiz tätigen Deutschen ein Kind hat und vom Vater getrennt lebt. Da sie im Laufe der Jahre fast 400 000 Franken an Sozialhilfe bezog, wurde ihre Aufenthaltsbewilligung nicht mehr verlängert. Dieser Entscheid sei mit dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) vereinbar, sagt das Bundesgericht. Da die aus einem Drittstaat stammende Frau für sich und ihren Sohn nicht selber habe aufkommen können, stehe ihr kein Bleiberecht in der Schweiz zu, auch wenn ihr Sohn EU-Bürger sei.

Die Richter lassen es allerdings nicht bei diesem unproblematischen Urteilsspruch bewenden. Sie äussern sich in ihren Erwägungen auch grundsätzlich dazu, wie sich der neue Verfassungsartikel über die Zuwanderung zum FZA verhält, und begeben sich damit auf rechtspolitisch heikles Terrain. Dazu muss man wissen, dass sich die Schweiz mit dem FZA dazu verpflichtet hat, die vor 1999 (also vor Unterzeichnung des Vertrags) ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Unionsrecht zu berücksichtigen. Das Bundesgericht übernimmt darüber hinaus allerdings auch die spätere EuGH-Rechtsprechung, sofern keine «triftigen Gründe» dagegen sprechen – dies im Interesse einer parallelen Rechtslage in der Schweiz und der EU.

Nun würde man annehmen, dass das Ja von Volk und Ständen zur Masseneinwanderungsinitiative und damit zu einem Kurswechsel bei der Zuwanderungspolitik für das Bundesgericht einen solchen «triftigen Grund» darstellen würde, das FZA fortan restriktiv auszulegen und die neue, sich weiterentwickelnde EuGH-Rechtsprechung nur noch mit Vorsicht zu übernehmen. Doch dem ist nicht so. Das Interesse an einer parallelen Rechtslage ist laut den Bundesrichtern vorrangig und kann auch durch Artikel 121a der Verfassung nicht eingeschränkt werden. Zurückhaltung bei der Auslegung des FZA sei deshalb nicht angebracht. Gleichzeitig zeigt das Bundesgericht auch dem Parlament die Grenzen auf: Setze das Parlament die Zuwanderungsinitiative auf eine Weise um, die mit dem FZA nicht vereinbar sei, werde man in jedem Fall dem FZA den Vorrang geben. Die langjährige Schubert-Praxis, die es dem Parlament erlaubt, von einem internationalen Vertrag bewusst abzuweichen, soll also nicht gelten.

Wer hat am Ende das Sagen?

Das Urteil ist doppelt problematisch. Zum einen weigert sich das Bundesgericht, dem Volksentscheid zur Zuwanderung auch nur ansatzweise Rechnung zu tragen, zum andern will es auch das Parlament in seiner Handlungsfreiheit mehr und mehr einschränken. Nun muss man beifügen, dass nicht «das» Bundesgericht diesen Entscheid gefällt hat, sondern die erwähnte Abteilung, die mit ihrer einseitigen Orientierung am internationalen Recht innerhalb des Gesamtgerichts eher isoliert zu sein scheint. Dennoch dürfte das Urteil den Streit darüber, wer in der Schweiz am Ende das Sagen hat und ob der Willen von Volk und Parlament auch für das Bundesgericht gilt, weiter anheizen.

Artikel in der NZZ vom 30. Januar 2016

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